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JAHRESCHART
Es bedarf anscheinend besonderer Ereignisse für besondere Bestmarken. Und während der ein oder andere nur noch versucht, das ablaufende Jahr so schnell wie möglich zu vergessen, hat sich das 2020er-Virus tief in meine Hitparaden-Annalen gefressen. Dass etwas Ungewöhnliches vonstatten geht, war spätestens Anfang Juli merklich. Da stand nämlich der erste Jahressieger nahezu fest – in einer Kategorie, die sich üblicherweise erst deutlich im letzten Quartal entscheidet: der Interpretenwerttung! Nur eine von vielen Bestmarken, die in der Folge noch fallen sollten. Denn am Ende gelingt Aaron Richard Bruno alias AWOLNATION aus Los Angeles ein beispiellos umfassender Erfolg. Es lässt sich an einer Hand abzählen, wie oft in 36 Jahren ein und derselbe Interpret sowohl das Album als auch den Hit des Jahres ablieferte. Auf der Liste derer, die obendrein mit der Interpretenwertung das Triple gewonnen haben, stand bislang nur ein Name – der allerdings doppelt -: Dido. Die letzte Eintragung ist jetzt allerdings auch schon 16 Jahre alt. Dass AWOLNATION am Ende mehr gegen sich selbst als gegen eine Konkurrenz ankämpfte und gleich 3 Titel in die Jahres-Top 10 bringen konnte, ist beispiellos.
Damit war nicht zu rechnen, als mir dieser Interpret mit seinem Album „Here Come The Runts“ vor gerade mal 2 Jahren erstmals auffiel. Eckig und inhomogen wirkten seine Songs – wie man das halt von einem typischen Independent-Künstler erwartet. Auf 2-3 richtig gute Lieder kam auch sehr viel ungenießbare Ausschussware. Ein Verhältnis, das bei den beiden Vorgängeralben noch deutlich schlechter ausfiel. 2020 hat sich Aaron Bruno offenbar dem Mainstream angenähert, was seine Musik deutlich eingängiger und gefälliger gemacht hat, war äußerst aktiv und in vielen Kollaborationen engagiert. Vielleicht am augenfälligsten ist seine Wandlung am Hit des Jahres: „The Best“ (übrigens auch das erste Mal, dass ein Titel seinem Namen vollauf gerecht wurde). In der Vorabversion schon recht gefällig, schlug die erst Monate später live und sehr druckvoll im Studio eingespielte Version hammermäßig bei mir ein, wohingegen die popmusikalische Verfeinerung zusammen mit Alice Merton mir fast schon zu seicht und gefällig war. Und während viele Musikerkollegen im Lockdown abtauchten oder altes Material in mal mehr oder weniger ansprechenden Live-Streams verarbeiteten, legten AWOLNATION mit ihrem Album „Angel Miners & The Lightning Riders“ so richtig los, waren zur rechten Zeit mit der richtigen Veröffentlichung zur Stelle. Danach folgte erstmal eine monatelange Dürreperiode, in der nicht mehr viel ansprechend Neues entstand, vor allem nicht bei den Alben. Das hat sicherlich nicht unwesentlich zum deutlichen Erfolg beigetragen.
Man musste halt dieses Jahr nehmen, was zu kriegen war, was auch einiges an eher semiprofessionellen Corona-Produktionen in meine Chart gespült hat. Umso erstaunlicher ist das völlig unerwartete Comeback eines Who Is Who der 80er-Jahre: Nik Kershaw, Midnight Oil, Billy Idol, Die Ärzte, The Sparks – sie alle landeten nach teilweise ewigen Zeiten zumeist größere Hits. Sogar ein Michael Stipe meldete sich mit einem wunderschönen Lied aus der kompletten Versenkung. Selbst eine Miley Cyrus schwamm mit zwei völlig überraschenden Hits auf der auch durch einige neuere Rockbands wie Dynazty oder The Night Flight Orchestra befeuerten Retro-Welle mit. Jaja, die Schweden wissen halt immer, was gut ist und liefern zuverlässig und reichlich mir bislang unbekannte Genre-Künstler.
Was bleibt also außer dem glittrigen musikalischen Triumphzug von AWOLNATION und dem eher öde-langweiligen des Corona-Virus? Die Zukunft wird es weisen; letzteres kann eigentlich nur besser werden und ersteres hoffentlich wieder etwas spannender. Hoffen wir das Beste, bleiben wir gesund und freuen uns auf alles, was 2021 so bereithält. In diesem Sinne: Ein frohes neues Jahr!
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